Hartes Horrordrama voller Alptraum-Vibes

• Australien, USA 2025
• Regie: Danny und Michael Philippou
• Laufzeit: 104 Minuten
Handlung: Es beginnt mit einer Tragödie: Ein alleinerziehender Vater rutscht in der Dusche aus, schlägt mit dem Kopf auf und stirbt. Die fast blinde Piper und ihr 17-jähriger Halbbruder Andy kommen zu Laura, einer professionellen Pflegemutter, die bereits ein stummes Kind namens Ollie betreut. Der Junge benimmt sich merkwürdig, aber auch Laura scheint hinter ihrer fröhlichen Fassade noch ganz andere Seiten zu verbergen. Andy beruhigt sich und seine Halbschwester: In drei Monaten wird er volljährig und kann das Sorgerecht übernehmen, falls er nicht noch einmal verhaltensauffällig wird.
Besprechung: Ausgangslage und Figurenkonstellation legen es schon nahe: „Bring Her Back“ ist im Kern ein Drama, das mit den Mitteln des
Horrorfilms erzählt wird. Michael Philippou erklärt in einem Interview,
dass es in dem Film um die psychischen Schmerzen gehe, den der Verlust eines geliebten Menschen mit sich bringt, aber eben auch um Liebe. Sein Bruder Danny meint im gleichen Interview, dass
Horrorfilme therapeutisch sein können und womöglich dahin reichen, wo das realistische Drama nicht hinkommt. Entsprechend nehmen sich die Regisseure in „Bring Her back“ erst einmal viel
Zeit für die Figurenzeichnung. Wir erleben, wie durch den Verlust des Vaters das Band zwischen der so gut wie blinden, aber lebensfrohen Piper und ihrem körperlich gesunden, aber
seelisch aufgewühlten Halbbruder enger wird. Da Piper ihre Umgebung nur völlig verschwommen wahrnimmt, wird Andy zu ihrer Sehkraft. Allerdings schildert er seiner Halbschwester immer wieder
einmal nicht exakt das, was er sieht, sondern liefert ihr eine Version, die er für besser hält. Früh wird klar, dass Andy sich für Piper verantwortlich fühlt. Er will sie beschützen
vor Erwachsenen, die – dass musste er selbst erfahren – für junge Menschen gefährlich werden können.
Und damit sind wir bei der neuen Pflegemutter Laura, die sich sehr für Piper begeistert, weniger für ihren älteren Halbbruder. Laura gibt sich nahbar, aufgedreht und zugewandt bis ins
Übergriffige. Sie hat selbst einen schrecklichen Verlust erlitten: Ihre ebenfalls blinde Tochter Cathy ist ertrunken. In eben jenem Pool vorm Haus, aus dem nun das Wasser herausgelassen worden
ist. Die Figur der Laura ist so tragisch wie bedrohlich und wird von der zweifach Oscar nominierten Sally Hawkings atemberaubend eindringlich verkörpert. Hawkins, die viele aus
„Happy-Go-Lucky“, „Shape of Water“ oder den Paddington-Filmen kennen, wurde hier einmal gegen ihren üblichen liebenswerten Typ besetzt und kann neue Facetten ihres Talents zeigen. Aber
auch Billy Barrat als Andy und Sora Wong als Piper überzeugen auf ganzer Linie und verleihen dem Film emotionale Tiefe.
Wie in ihrem Überraschungshit „Talk To Me“ belassen es die Philippou-Brüder allerdings auch hier nicht beim Erzählen einer im Kern tragischen Geschichte, sondern zielen mit drastischen
Horrormomenten auf die Magengrube des Publikums. Wer selbst Kinder großzieht oder einen tragischen Verlust zu bewältigen hat, muss sich gut überlegen, ob er sich diesen stellenweise sehr
grausamen Film ansehen will.
„Bring Her Back“ hatte dreimal so viel Budget zur Verfügung wie der für 4,5 Millionen gedrehte „Talk To Me“. Das sieht man ihm allerdings nicht an, zumal er mit wenigen Settings und Figuren
auskommt. Was man aber sieht, sind starke praktische Effekte und ein Gespür des Kameramanns Aaron McLisky für schlichte, aber ästhetisch komponierte Einstellungen, auch wenn mir
seine Arbeit bei „Talk To Me“ noch etwas besser gefallen hat. Weniger zwingend ist der Score des Films, der in manchen Szenen effektiv, in anderen etwas beliebig und abgenudelt klingt. Auch ist
die typische Horrorfilmmasche, Sounds in schrecklichen Momenten erst stark anschwellen und dann beim plötzlichen Schnitt verhallen zu lassen, eines Films wie „Bring Her Back“ unwürdig.
Schließlich kann man auch bemängeln, dass die okkulten Praktiken im Hintergrund des Films etwas kompliziert sind und nicht unbedingt zwingend vermittelt werden.
Trotz dieser kleinen Mängel ist "Bring Her Back" aber ein starkes Drama, ein erbarmungsloser Horrorstreifen und schließlich einfach ein aufwühlender Film, der uns mit
alptraumhafter Logik mit Schmerz und Trauer in Verbindung bringt. Wenn wir das denn wollen.
Trivia: Danny und Michael Philippou wurden mit ihrem parodistischen Youtube-Kanal „RackaRacka“ bekannt. Dann eroberten sie im
Sommer 2023 unverhofft mit „Talk to Me“ weltweit die Herzen von Horrorfilmfans. Anschließend sollten sie eigentlich einen Film ausgehend von der Computerspiel-Reihe „Street Fighter“ drehen,
entschieden sich aber für einen weiteren finsteren Horrorfilm.
„Bring Her Back“ lässt sich dabei dem Horror-Subgenre „psycho biddy“ zuordnen. Mehr dazu unter „Hopsys Gedanken“.
Sora Wong stand noch nie vor einer Kamera und sagte beim Vorsprechen für die Rolle, dass sie null Erfahrung mit Schauspielerei habe. Die Philippou-Brüder wählten sie trotzdem
(oder gerade deswegen?) für die Rolle der quasi-blinden Piper aus. Wongs Mutter war durch einen Facebook-Post auf das Vorsprechen aufmerksam geworden.
Der Film wurde im südlichen Australien – in Adelaide und Umgebung – innerhalb von 41 Tagen gedreht.
IMDB: 7.2 von 10
Letterboxd-Rating: 3.7 von 5
Hopsy-Rating: 4 von 5
// HOPSYS GEDANKEN
„Bring Her Back“ gehört zu einem sehr speziellen Subgenre des Horrorfilms, den „Psycho-biddy“. Dabei kann „psycho“ sowohl für „psychopathisch“ als auch für „psychologischer Thriller“ stehen.
„Biddy“ wiederum ist ein tendenziell abwertender Ausdruck der Umgangssprache, mit dem eine meist alte Frau bezeichnet wird, die mit ihren Macken nervt und stört oder sogar richtiggehend
unheimlich ist. Filme über „Nervige Psycho-Trullas“ können – wie ja naheliegt – durchaus frauenfeindliche Züge haben, aber je nach Darstellung können die entsprechenden Frauenfiguren auch
für feministische Themen sensibilisieren. Nicht selten beinhaltet ein und derselbe Horrorfilm (auch und gerade in diesem Genre) reaktionäre und emanzipatorische Elemente. Das macht
das Gucken in meinen Augen so interessant, weil man als Zuschauer*in gefordert wird, einen eigenen Kompass zu nutzen, anstatt sich nur in seiner Sichtweise bestätigen zu lassen.
Andere Bezeichnungen für diese Sparte sind „hagsploitation“, „hag horror“ oder „grand dame guignol“. Die zentrale Bedrohung geht in diesen Filmen immer von einer Frau aus, die ihre
besseren Zeiten hinter sich hat. Sei es Alter, Verlust, Trauma oder alles zusammen – sie steht mit einem Bein im Wahnsinn und ist nun durchaus gefährlich. Vorbilder für die
„psycho-biddies“ sind Geschichten von Hexen, bösen Stiefmüttern, aber auch alternde Divas, die ihre Umgebung mit ihrem verzweifelten Wunsch nach Aufmerksamkeit terrorisieren. Oft
werden diese Frauen durch das Auftauchen jüngerer Menschen zu ihren bösen Taten angestachelt, da sie den Verlust der eigenen Jugend und Möglichkeitsfülle nicht verkraften können.
Als Startschuss für das Subgenre gilt „Was geschah wirklich mit Baby Jane?“ aus dem Jahr 1962, auch wenn Billy Wilders „Sunset Boulevard“ zentrale Themen des Films vorwegnahm. In
„Baby Jane“ erzählt Regisseur Robert Aldrich die Geschichte von Jane Hudson (Bette Davis), die als verwöhntes Kind eine frühe Schauspielerinnen-Karriere begann. Ihre schüchterne, ältere Schwester
Blanche (Jane Fonda) lebt in ihrem Schatten und wird von der hochmütigen Jane auch mit Herablassung behandelt. Im Erwachsenenalter vertauschen sich jedoch die Rollen: Janes Schauspielstil
gerät aus der Mode und während ihre Schwester Blanche nun Erfolge als Schauspielerin feiert, verfällt Jane dem Alkohol. Dann aber ereignet sich ein mysteriöser Autounfall, Blanche ist
danach von der Hüfte abwärts gelähmt. Nun ist auch ihre Karriere zu Ende. Die Haupthandlung des Films setzt aber erst rund 30 Jahre später ein: Jane und Blanche leben zusammen in einer Villa, die
sie mit Blanches Filmeinnahmen gekauft haben. Blanche sitzt im Rollstuhl und ist auf Jane angewiesen. Jane ist längst eine psychisch instabile Alkoholikerin, die Blanche regelmäßig misshandelt.
Der Kampf zwischen den beiden Schwestern nimmt immer groteskere und gewalttätigere Züge an.
Abgesehen davon, dass „Was geschah wirklich mit Baby Jane“ ein sehr sehenswerter und ergreifender Film ist, ist er auch von filmhistorischem Interesse.Bette Davis und Jane Fonda
konnten auf diese Weise ihre Karrieren wiederbeleben und kehrten so zurück ins Rampenlicht, etwas, das älteren Frauen in Hollywood vorher so gut wie nie vergönnt gewesen ist. Bette Davis erhielt
für ihre Darstellung der „Baby Jane“ auch eine Oscar-Nominierung. Natürlich kann man sich fragen, ob es wirklich ein emanzipatorischer Befreiungsschlag ist, wenn Schauspielerinnen, die im
früheren Hollywoodkino als romantische Heldinnen und verführerische Schönheiten besetzt wurden, nun noch einmal als gruselige, alte Krawallschachteln auftrumpfen dürfen, und dabei Entsetzen,
Abscheu und Mitleid hervorrufen. Andererseits kam so die Zweischneidigkeit der Hollywood-Ideale in Bezug auf Frauen zumindest einmal auf den Tisch. Das änderte aber nichts
daran, dass Sexismus und Ablehnung (vor allem des weiblichen Alterns) in Hollywood weiter Bestand hatten und durch das „psycho-biddy“ Genre in gewisser Weise noch bekräftigt wurden. Nun gab es
zwar ein paar mehr Rollen für ältere Frauen, aber eben nur im engen Korsett der halbspinnerten Alten.
Typische Elemente des psycho-biddy-Films sind neben mindestens einer instabilen weiblichen Hauptfigur
• Isolierte Settings
• Die Darstellung psychischer Krankheiten (wie z.B. Alkoholismus)
• Die Bedrohung jüngerer Menschen
• Überraschende Wendungen/Enden
• Eine schwarz-romantische Schauer-Ästhetik
• Flashbacks ins Jugendalter
„Bring Her Back“ hakt einige dieser Boxen mustergültig ab, betont aber nicht das Alter seiner weiblichen Hauptfigur und stellt sie auch nicht als optisch ekelig aus. Vielmehr ist Laura eine
Getriebene, für die wir im Laufe des Films – wenn auch widerwillig – Sympathien entwickeln können. Sie verhält sich schrecklich, aber es ist auch schrecklich, was ihr passiert ist. Anders gesagt:
Ihr Schmerz ist zu unerträglich für sie, als dass sie damit konstruktiv umgehen könnte. Insgesamt umgeht „Bring Her Back“ ein typisches Problem der psycho-biddy Filme, in dem er nicht
negative Stereotype über alternde Frauen und männliche Ängste vor dem weiblichen Altern reproduziert. Weniger klar ist, ob „Bring Her Back“ auch Stereotype in Bezug auf weiblich gelesene
Übergriffigkeit und psychische Krankheiten vermeiden kann. Wenn man bedenkt, wie viele (nicht rundum unbegründete) Klischees über gewalttätige, sexbesessene, verantwortungslose und egoistische
Männer in (Horror-)Filmen abgespult werden, fällt es aber womöglich nicht besonders ins Gewicht, wenn Laura keine rundum realistisch und individuell gezeichnete Figur ist, sondern mit einem Bein
auch traditionelle Horror-Motive bedient. Dabei kann man argumentieren, dass die Figur der Laura, für einen richtigen psycho-biddy Film womöglich nicht divenhaft genug auftritt,
zumindest wenn man der Definition des Filmwissenschaftlers Peter Shelley folgt.
Ein paar (diskutierbare) Beispiele für psycho-biddy Filme sind:
„Wiegenlied für eine Leiche“ (1964)
„Lady in a Cage“ (1964)
„Onibaba – Die Töterinnen“ (1964)
„War es wirklich Mord?“ (1965)
„Frightmare – Alptraum“ (1974)
„13 Stufen zum Terror“ (1980)
„Muttertag“ (1980)
„Misery“ (1990)
„Hereditary“ (2018)
„Greta“ (2018)
„X“ (2022)
Eine umfangreichere Liste findet sich hier.
Kommentar schreiben