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Turistas – Mörderisches Paradies

Spannender, aber wenig überraschender Film im Hostel-Fahrwasser

USA 2006

 Regie: John Stockwell              

 Laufzeit: 93 Minuten

 

Handlung: Die Geschwister Alex und Bea, sowie deren Freundin Amy machen einen Backpack-Trip durch Brasilien. Nach einem Busunglück in einer ländlichen Gegend machen sich die jungen US-Amerikaner mit ein paar anderen Touristen auf die Suche nach einer anderen Fahrgelegenheit in eine größere Stadt. Dabei entdecken sie einen traumhaften Strand mit Bar, an dem sie mit Reisenden und Einheimischen bis in die frühen Morgenstunden trinken, feiern und rummachen. Das sind allerdings nicht die Momente ihres Brasilien-Trips, an die sie sich in Zukunft erinnern werden. Wenn sie überhaupt noch eine Zukunft haben.

 

Besprechung: Der Film hat einige Gemeinsamkeiten mit „Hostel“, der ein Jahr vorher sehr erfolgreich in den Kinos lief: Partygeile junge Leute, die Sex und Alkohol toll finden, lassen in einem ärmeren Land die Sau raus und müssen lernen, dass sie trotz aller Privilegien nur die Beute sind. Kurz gefasst: nackte Haut, Gore und Kapitalismuskritik. Und auch wenn „Turistas“ in Hinblick auf das Verstörungspotenzial nicht an „Hostel“ herankommt, macht der Film seine Sache doch recht gut. Zwar bleibt das zentrale Geschwisterpaar – gespielt von Olivia Wilde und Josh Duhamel – blass, aber es gibt genug andere Figuren in dem Film, die – wie vor allem die bescheuerten britischen Dudes – für Unterhaltung sorgen. Oder sogar wie die von Melissa George sympathisch verkörperte australische Backpackerin Pru eine Identifikation ermöglichen.

Der Film lässt sich leicht in drei Teile gliedern. Im ersten lernen wir nach einem stark gefilmten Busunglück die Charaktere kennen und erleben mit ihnen die touristischen Freuden einer entfesselten Nacht am brasilianischen Strand. Natürlich gibt es hier bereits erste Anzeichen, dass Ignoranz und Unachtsamkeit alles andere als angebracht sind. Im zweiten Teil stehen die „Turistas“ plötzlich recht schutzlos in einem fremden Land und sind auf die Hilfe des freundlichen Kiko angewiesen, dem sie aber vielleicht nicht trauen können. Im dritten Teil schlägt dann der blanke Terror zu. John Stockwell, der vorher den Surffilm „Blue Crush“ und den auf den Bahamas spielenden Actionfilm „Into the Blue“ gedreht hat, zeigt im ersten Teil sein Händchen für die Inszenierung hübscher junger Menschen in traumhafter Tropenatmosphäre. Im zweiten Teil ändert sich die Bildsprache: Die Settings werden trister, die Bilder grobkörniger und semi-dokumentarisch. Brasilien ist jetzt nicht mehr der klischeehafte Schauplatz eines Werbespots mit Bikini-Models, sondern eine von Armut und Geheimnissen bestimmte Fremde. Besonders stark ist, dass die Einheimischen ganze Szenen lang auf Portugiesisch reden, ohne dass es eine Übersetzung oder Untertitel gibt. Das Gefühl von Fremdheit und Ausgeliefertsein überträgt sich so besonders gibt. Dazu kommt das ungemütliche Gefühl, dass man als privilegierter Bewohner der sogenannten ersten Welt vielleicht nicht überall willkommen ist, sondern als ignoranter Eindringling und Nutznießer der Ausbeutungsverhältnisse verachtet wird.

Der dritte Teil ist dann durchaus blutig und spannend, aber in meinen Augen leider auch der schwächste des Films. Die Settings sind cool, aber Kameramann Enrique Chediak („The Faculty“, „28 Weeks Later“) fängt die Action so ein, dass ich nicht weiß, wer genau was genau wo genau macht. Das räumliche Vorstellungsvermögen wird ausgehebelt. Dadurch wird zumindest mir manches egaler. Auch gibt es einen jener berüchtigten „Ich-erkläre-jetzt-einmal-mich-und-die-Moral-des-Films“-Monologe des Oberbösewichts, ein Verfahren, das sich an den schlichteren Teil des Publikums richtet und das so plakativ wie Atmosphäre und Figurenplausibilität zerstörend wirkt. Eine Sache an „Art the Clown“, die so großartig ist, kommt hier wieder in den Sinn: Er hält einfach die Klappe und macht.

Alles in allem ist das aber ein spannender, interessanter Film, der aus seinem Budget von 10 Millionen einiges herausholt und wirklich tolle Schauplätze bietet. Die Figuren sind nicht tief, aber abwechslungsreich gezeichnet, die Bedrohung spitzt sich gekonnt zu und das Motiv der Fremdheit im (ärmeren) Urlaubsland, bei dem auch Schuldgefühle mitschwingen, finde ich ziemlich cool. Allerdings ist die Handlung eher überraschungsarm und das Schauspiel tendenziell etwas platt. Melissa George als australische Urlauberin und Agles Steib als einheimischer Kiko haben mir noch am besten gefallen.

 

Trivia: Regisseur Stockwell las das von Michael Arlen Ross geschriebene Drehbuch zu „Turistas“, nachdem er von einem Peru-Aufenthalt in die USA zurückgekehrt war. In Peru hatte er etwas erlebt, was ihm die Geschichte des Drehbuchs besonders gut nachvollziehen ließ. Der Los Angeles Times sagte er: „Ich wurde von einer Gruppe 13-jähriger, Klebstoff schnüffelnder Kids ausgeraubt, die auch auf mich schossen. Ich ging zur Polizei, und die sagten uns im Grunde: „Wenn ihr uns 300 Dollar gebt, lassen wir euch diese Kinds töten.“
 
„Turistas“ wurde (als erster US-amerikanischer Film) komplett in Brasilien und mit einigen brasilianischen locals als Statisten gedreht. Allerdings sorgte der Film in Brasilien auch für einigen Missmut, da er Klischees bedienen und unrealistische Ängste schüren würde. Zu diesen Ängsten trug auch die Webpräsenz www.paradisebrazil.com bei, die zur Bewerbung des Films ins Leben gerufen wurde. Darauf fanden sich Berichte über Verbrechen, die in Brasilien gegen Tourist*innen begangen worden sind.

Embratur, die Tourismusbehörde der brasilianischen Regierung schrieb in einem Statement, dass „Turistas“ das Image Brasiliens nicht beschädigen würde, da Zuschauer zwischen Realität und Fiktion unterscheiden könnten. Gleichzeitig äußerte die Behörde Freude darüber, dass der Film bei den Kritiker*innen in den USA so schlecht ankam.

 

IMDB: 5.4 von 10

Letterboxd-Rating: 2.5 von 5                                                                                                      

Hopsy-Rating: 3 von 5

 

 

 

 

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