Eigenständiger Hybrid aus Märchen- und Faschismusfilm

• Spanien, Mexiko 2006
• Regie: Guillermo del Toro
• Laufzeit: 119 Minuten
Handlung: 1944. Der spanische Bürgerkrieg ist beendet. Die Faschisten unter Franco haben gewonnen. Aber noch immer gibt es Aufständische. Deshalb bekämpf der franquistische Hauptmann Vidal mit seinen Männern die Partisanen in den bewaldeten Bergen Nordspaniens. Vor Kurzem hat er die jetzt hochschwangere Carmen geheiratet, die eine elfjährige Tochter hat, Ofelia. Diese merkt schnell, dass ihr Stiefvater ein brutaler Mann ist, der sich nicht für sie interessiert. Bei ihren einsamen Spaziergängen entdeckt das Mädchen eine alte Ruine, die den Eingang zu einem Labyrinth darstellt. Und sie trifft ein mystisches Waldwesen, das behauptet, ihr Schicksal zu kennen. Wenn Ofelia drei furchteinflößende Aufgaben meistert, kann sie zu ihrem echten Vater zurückkehren.
Besprechung: Obwohl dieser Film in erster Linie eine eigenwillige Mischung aus Drama und dunklem Märchenfilm ist, hat er genug Zuschauer*innen
das Fürchten gelehrt, um bei „Horror & Psychologie“ besprochen zu werden. Gruselig sind neben den finsteren oder zwielichtigen Fantasygestalten und der dunklen, verwunschenen Atmosphäre vor
allem die Franquisten, unter denen Hauptmann Vidal als Vorzeige-Faschist heraussticht. Die Kälte und Entschlossenheit, mit der er foltert, mordet und auch sein Familienleben gestaltet, machen
sprachlos. Vidal – glaubhaft verkörpert von Sergi López – ist dann auch der Charakter, mit der sich die grauenhaftesten Szenen des Films verbinden. Das Märchenhafte wirkt dagegen tröstlich, auch
wenn die Figur des bleichen Mannes durchaus Alptraumpotenzial hat. Manchmal fühlt man sich in „Pan’s Labyrinth“ wie in einer dunkleren und ernsteren Nebengeschichte von Harry Potter. Das liegt
nicht nur an manchen Settings und den drei märchenhaften Prüfungen, die Ofelia bestehen soll, sondern auch an der Filmmusik von Javier Navarette, die als klassischer Orchesterscore viele Register
zieht und einige erinnerungswürdige Motive erhält, wie zum Beispiel das Wiegenlied, das Mercedes singt. Mercedes ist dann auch eine der interessantesten Figuren der Geschichte: Als Angestellte
von Vidal ist die junge Frau für den reibungslosen hauswirtschaftlichen Ablauf des vorübergehenden Militärquartiers verantwortlich, findet aber Zeit sich der in diesem Umfeld verunsicherten
Ofelia anzunehmen. Früh zeigt sich, dass Mercedes keine Faschistin ist und nichts vom Hauptmann und seinen Machenschaften hält. Während sich Ofelias Mutter in die ihr zugedachte Rolle als
Gebärende – ein Sohn soll es bitte sein! – fügt. Unterstützen sich Mercedes und Ofelia in ihrem verdeckten Widerstand gegen das so unmenschliche wie phantasielose Regime des Hauptmanns.
Die Bildwelten, die del Toro mit Hilfe des mexikanischen Kameramann Guillermo Navarro einfängt, verbinden auf elegante Weise die Ästhetik gothischer Schauergeschichten mit der stilisierten
Bebilderung der faschistischen Vergangenheit Spaniens. Das hat etwas Comichaftes, das den Film erträglicher macht, aber seine Ernsthaftigkeit nicht unterläuft. Ich sehe es als eine der großen
Stärken des Films an, dass er U und E so souverän verbindet, also zugleich eine fast schon poppige Unterhaltsamkeit mit gewichtigen Themen verbindet, die nicht effektheischendes Mittel zum
dramatischen Zweck sind, sondern mit echtem Interesse und Liebe zum Detail behandelt werden. Dass Ivana Baquero als Ofelia keine schauspielerische Offenbarung ist, lässt sich verzeihen. Denn sie
ist gut gecastet und ihre Figur gut geschrieben. Und schließlich dürfte ihre Geschichte kaum jemanden kalt lassen, denn sie ist so dramatisch wie universell.
Trivia: Der spanischsprachige Originaltitel des Films lautet „El laberinto del fauna“. Im Englischen wurde aus dem Faun der Waldgott Pan, da
„faun“ zu sehr nach „fawn“ (Rehkitz) geklungen hätte. In den französischen und deutschen Versionen übernahm man diese Änderung. Während ein Faun als Mischwesen aus Mensch und Ziege in der Antike
als Waldgeist (möglicherweise im Gefolge des Waldgottes Faunus und seiner Frau Fauna) auftauchte, ist Pan in der griechischen Mythologie auf jeden Fall ein Gott. Auch er wird mit Wald und Natur
assoziiert, allerdings auch mit Panik und Erotik. Zwei Dinge, die für del Toro in Bezug auf den Film nicht passend waren.
Ein weiteres Fabelwesen des Films ist der bleiche Mann (el hombre pálido). Fie Figur basiert auf einem japanischen Yōkai mit dem Namen Tenome (jap. 手の目, dt. „Handauge“). Yōkai bezeichnen in Japan
alle Monster, Dämonen und sonstigen übernatürlichen Wesen, die nicht Yūrei, also Totengeister sind.
„Pan’s Labyrinth“ ist der zweite Teil von del Toros „Spanischer Trilogie“. Der erste Teil ist „The Devil’s Backbone“ aus dem Jahr 2001. Der dritte Teil wurde bis heute nicht realisiert. Zwar
erklärte del Toro im November 2007, dass er bereits an einem entsprechenden Folgefilm mit dem Titel „3993“ arbeitete, aber er verwarf das Projekt, um „Hellboy II: The Golden Army“ zu drehen, der
2008 in die Kinos kam. Bis heute liegt „3993“ also in der Schublade.
Ursprünglich sollte del Toro die Regie für „Harry Potter und der Gefangene von Askaban“ übernehmen. Stattdessen wendete er sich mit „Pan’s Labyrinth“ seinem eigenen Projekt zu. Die Welt von Harry
Potter war ihm zu hell und fröhlich. Er trat den Job gerne an seinen Freund und Kollegen Alfonso Cuarón ab.
Die deutsche Fantasyautorin Cornelia Funke bezeichnet „Pan’s Labyrinth“ als ihren Lieblingsfilm. Im Jahr 2019 veröffentlichte sie zusammen mit Guillermo del Toro die Romanadaption des Filmes
unter dem Titel Das Labyrinth des Fauns im S. Fischer Verlag. Die Hörbuchversion wird von Tom Vogt und der Autorin gesprochen.
Der Name Ofelia dürfte auf die Ophelia aus Shakespeares Hamlet anspielen. Allerdings ist in dem Theaterstück Ophelia zwar eine liebenswerte, aber passive und fügsame Frau, die durch die Umstände
und die Handlungen ihres Geliebten Hamlet den Verstand verliert und sich ertränkt. Das Mädchen Ofelia in „Pan’s Labyrinth“ hingegen setzt sich gegen die Umstände zur Wehr.
IMDB: 8.2 von 10
Letterboxd-Rating: 4.2 von 5
Hopsy-Rating: 4.5 von 5
// HOPSYS GEDANKEN
„Pan’s Labyrinth“ ist in meinen Augen ein Porträt des autoritären Charakters und zugleich ein Film, der die Gegenmittel zum Faschismus beleuchtet. Hauptmann Vidal mag nah an der Karikatur
angelegt sein, aber er dürfte vielen Neonazis und Verehrern starker Männer weltweit auch als Vorbild erschein. Straffe Haltung, kantiges Gesicht, misstrauisch blitzende Augen und fast immer
eiskalter Herr der Lage. Er steht für die Idee, dass Härte, Stärke und Herrschaft bewundernswert sind und die Schwachen (also naturgemäß Frauen und Kinder, aber auch die nicht zur Herrschaft
fähigen Männer) zu gehorchen haben. Besonders interessant finde ich, mit welchen Details die Figur des Hauptmann Vidal dargestellt wird, wodurch zugleich Hinweise auf die Psychologie des
Faschisten gegeben werden. Vidal trägt eng anliegende Uniformen, in denen er sich kaum bewegen kann. Sie knirschen auf Schritt und Tritt und repräsentieren das enge Korsett, in das er sich
einschnürt, um aufrecht zu stehen und nicht zu zerfließen. Sein liebstes Instrument ist eine Taschenuhr. Die klare Zeitvorgabe gibt ihm Sicherheit und ist zugleich ein Werkzeug, mit dem er andere
terrorisiert. In Vidals Welt muss alles messbar und klar geordnet sein. Oben und unten. Mann und Frau. Verwertbar und nicht verwertbar. Der Zweck heiligt die Mittel und der Zweck ist letztlich
das Recht des Stärkeren. Der Stärkere ist in Vidals Sichtweise natürlich derjenige, der nicht durch Emotionen wie Empathie und Mitgefühl oder Neugier auf das Fremde verweiblicht ist und der
deshalb ohne Reue tun kann, was nun einmal zu tun ist. Für die kindliche Phantasie ist in dieser strengen Welt ständiger Kosten-Nutzen-Rechnungen und des „Fressen oder Gefressen-Werdens“ kein
Platz. Was aber steckt hinter einem solchen enormen Kontrollbedürfnis?
Hat Vidal vielleicht vor allem Angst? Vor der Strafe seines im Film erwähnten Vaters, dessen rigides Regime er verinnerlicht hat? Vor seinen eigenen Gefühlen, die ihn zugleich lebendig, aber auch
verwundbar machen könnten? Vor dem Unbekannten? Dem Nicht-Kontrollierbaren? In einer Szene des Films sehen wir, wie Vidal sich rasiert und dabei mit einem grimmigen Gesichtsausdruck die
Rasierklinge auf Höhe seines Halses über sein Spiegelbild zieht. Hat er suizidale Tendenzen? Hasst er eigentlich das Leben? Diese Fragen sind ebenso interessant, wie die Überlegung, ob Vidal (und
vergleichbare Faschisten im wahren Leben) psychisch krank sind. Die meisten Laien würden sagen, dass jemand, der ohne mit der Wimper zu zucken, einen Menschen tötet, indem er ihm mehrmals eine
Weinflasche ins Gesicht rammt, ein Psychopath ist. Auch bei einem Feldherrn, der Tausende in den Tod schickt, weil er einen gewissen Zipfel Land erobern will, würden wohl viele von einer gewissen
Psychopathie sprechen. Aber Menschen mit solchen Eigenschaften können oft nicht nur ihr Leben funktional gut meistern, sondern empfehlen sich auch für hohe Posten, bei denen der
Verantwortungsdruck hoch und Empathie möglicherweise ein Hemmnis ist. Und sind sie wirklich psychisch krank, wenn sie keinen Leidendruck verspüren? Vielleicht sind sie einfach nur mit anderen
Werten aufgewachsen und haben gelernt, dass Kälte, Härte und Gnadenlosigkeit hilfreich sind und belohnt werden, sei es von den eigenen Eltern, die es entsprechend vorgelebt haben, sei es von
einem Umfeld, in der die oberen Ränge von den Empathielosesten eingenommen werden. „Lernen am Erfolg“ oder „operante Konditionierung“ sind anerkannte Grundsätze der behavioristischen
Lernpsychologie. Von welcher Warte aus, könnte man Menschen als „krank“, „psychisch gestört“ oder „verhaltensauffällig“ beschreiben, die sich womöglich innerhalb ihres Umfeldes besonders
erfolgreich angepasst haben?
Del Toro stellt in „Pan’s Labyrinth“ der mechanischen Kontrollwut, die der Faschist gegen sich und andere richtet, und die sadistische Züge haben, ein unschuldiges Mädchen gegenüber, das sich für
Feen interessiert und bereit ist an eine Welt der Wunder und anderen Möglichkeiten zu glauben. Ofelia ist offen für das Neue und geht unerschrocken und gewaltfrei auf völlig Unbekanntes zu. Am
besten zeigt sich das an ihrem schlichten „Hallo“, mit dem sie zum Beispiel eine unheimliche Riesenkröte begrüßt. Auch sucht Ofelia nicht nach Dominanz, sondern nach Verbundenheit. Und
schließlich ist sie eher bereit, ihr eigenes Blut zu opfern, als das eines unschuldigen und noch wehrloseren Menschen. Hauptmann Vidal ist clever und kann manche Dinge sehen: wenn Menschen, ihn
hintergehen, wo sie seiner Kontrolle zu entgleiten drohen. Aber er sieht auch vieles nicht, weil seine Wahrnehmung nicht unvoreingenommen ist, nicht das große Ganze schauen kann und immer mit
seinen im Kern manipulativen Zielen verknüpft ist.
Ofelia hingegen verkörpert zusammen mit Mercedes die Eigenschaften, die im Kampf gegen den Faschismus und gegen Faschisten benötigt werden: Tapferkeit und Gemeinschaft, intrinsische Motivation
statt dem stumpfen Befolgen von Befehlen, Aufgeschlossenheit für das Wunderbare im Menschen und um ihn herum. Und vor allem: den Glauben daran, dass eine bessere Welt möglich und vielleicht
bereits existent ist.
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