· 

They See You

Ambitionierter Mystery-Grusel mit Schwächen

 

USA, Irland 2024

 Regie: Ishana Night Shyamalan                  

 Laufzeit: 102 Minuten

 

Handlung: Die junge Mina soll im Auftrag einer Zoohandlung in Galway einen Goldsittich zu einem Kunden in Belfast bringen. Mitten in einem finsteren Wald, hat ihr Auto eine Panne. Auf der Suche nach Hilfe irrt sie herum und trifft auf eine sonderbare ältere Frau. Diese nimmt Mina mit in eine als „Box“ bezeichnete Behausung im Wald. Denn nach Einbruch der Nacht sollte hier niemand mehr draußen herumlaufen.

 

Besprechung: Der Film hat Einiges für sich: Dakota Fanning als gleichzeitig neben sich stehende und unerschrockene Mina ist eine gute Besetzung für diese sperrige Rolle. Sie lässt ihre Figur nicht unbedingt sympathisch erscheinen, aber interessant und charismatisch genug, um ihr folgen zu wollen. Auch ist der Wald toll in Szene gesetzt, und erst recht der brutalistische Bungalow darin: ein Fremdkörper in der Wildnis, der nur „die Box“ genannt wird. Der dramatische Streicher-Score und die Farbgebung der Bilder sind speziell, haben mich in ihrer pathetischen Künstlichkeit aber gut in den Film hineingezogen. Sicher auch, weil die Geschichte nicht ganz so konventionell wirkt und ein Mysterium aufbaut, das mein Interesse wecken und eine Weile aufrecht halten konnte.

 



Leider erschafft der isländische Kameramann Eli Arenson in „They See You“ nicht nur Bilder von faszinierender Künstlichkeit, sondern auch solche von platter Sterilität. Schuld daran sind einige computergenerierte Kreaturen und Hintergründe, die das ästhetische Niveau des Films zwischenzeitlich merklich senken. Eben noch gehobener Mystery-Grusler, suppt „They See You“ immer wieder mal in einen typischen Cineplex-Horrorfilm für anspruchslose Vielgucker weg. Schade ist auch, dass sich die Geschichte nicht ausreichend genug für Plausibilität interessiert. Ein paar Schnitzer kann ich bei Filmen dieser Art verzeihen, hier hat es mich aber irgendwann gestört, zumal die Geschichte auch einfach inhaltlich und optisch nicht rund wirkt. Das liegt auch an der Figur der Madeleine, die von Olwen Fouéré (u.a. „Mandy“, „Texas Chainsaw Massacre“ von 2022) nicht gerade überzeugend verkörpert wird. 

Dabei hat die Folk-Horror-Parabel durchaus Potenzial. Das Verhältnis von Mensch und Natur wird hier im Ansatz interessant beleuchtet, aber womöglich will der Film zu viel, da er auch noch die Ebene persönlicher Traumatisierung ins Spiel bringt, die „They See You“ gleichzeitig überfrachtet und unfokussiert wirken lässt. 

Zugutehalten will ich dem Film, dass es sich um ein Debüt handelt. Eines, das durchaus Ambitionen zeigt und vorsichtig all jenen empfohlen sei, die ihren Horror lieber unblutig und atmosphärisch serviert bekommen. Gerade für Einsteiger in dieses beste aller Genres ist „They See You“ gut geeignet. Und vielleicht können andere Zuschauer*innen ja der Geschichte des Films mehr abgewinnen als ich.

 

Trivia: Der Titel des englischsprachigen Originals ist „The Watchers“. Warum für den deutschen Markt daraus „They See You“ wurde, erkläre ich mir damit, dass der Titel „The Watchers“ aufgrund ähnlich lautender Filme bereits abgegriffener klingt und ein geringeres Alleinstellungsmerkmal hat. In Großbritannien wiederum bekam der Film den Titel „The Watched“, um Verwechslungen mit der Serie „The Watcher“ (2022) zu vermeiden.

Ishana Night Shyamalan ist die Tochter von M. Night Shyamalan (u.a. „Sixth Sense“, „The Village“, „Trap“), der hier auch als Produzent tätig war. Und es lassen sich durchaus deutliche Parallelen zwischen seinen Werken und dem seiner Tochter entdecken: ein Sinn für Atmosphäre und Rätselhaftigkeit, eine gewisse Kauzigkeit und der Hang zu mehr oder minder überraschenden Twists.

In einem Interview aus dem Jahr 2024 erklärte Ishana Night Shyamalan, dass sie bei ihrem Spielfilmdebüt den Rat eines Regiekollegen befolgt hätte: Schon beim Schreiben des Drehbuchs hätte sie versucht, sich jede Szene bildlich vorzustellen. Es war ihr wichtig, vor dem Dreh bereits alles in ihrem Kopf „gesehen“ zu haben. Auch sagt sie in dem Interview, dass es ihr wichtig war, in jeder Einstellung ein gewisses Unwohlsein zu erzeugen. Zum Beispiel durch ungewöhnliche Perspektiven, desorientierende Schnitte oder mehr leeren Raum als üblich.   

Die Namen Lucy und Mina gehen auf zwei zentrale weibliche Figuren in Bram Stokers „Dracula“ zurück, während Madeleine der Name ist, den Roderick Ushers Schwester in Edgar Allan Poes „Der Untergang des Hauses Usher“ trägt.

 

IMDB: 5.7 von 10

Letterboxd-Rating: 2.4 von 5                                                                                                      

Hopsy-Rating: 2.5 von 5

 

// HOPSYS GEDANKEN

 

Elfen, Gnome, Feen, Nixen, Nymphen – der Glauben an Naturgeister ist alt. Was aber sind Naturgeister, und warum glauben Menschen an diese Wesen? Naturgeister zu definieren ist nicht ganz einfach. Als „Geister“ sind sie übernatürliche, nicht-stoffliche Wesen, Erscheinungen, die vielleicht nur von manchen besonders begabten Menschen unter besonderen Umständen gesehen werden können. Als Naturwesen sind sie aber wiederum fest mit der Materie verbunden, zum Beispiel mit Bäumen oder Quellen, mit Felsformationen oder dunklen Stollen. Laut dem Volkskundler Lutz Röhrich (1922 – 2006) ist es „fast unmöglich, in die Vielgestalt der Geisterwelt eine Systematik zu bringen.“ Vor allem, wenn man das Phänomen weltweit untersucht und nicht nur eine klare Abgrenzung von Natur-, Kultur- und Totengeistern anstrebt, sondern bei der Einteilung auch die Funktion der Wesen bedenkt, die Schutz- oder Krankheitsgeister, Mahner und Mittler oder aber auch Trickster und Irreführer sein können. Auch kann sich die Bedeutung eines übernatürlichen Wesens ändern. Was dem heidnischen Kelten vielleicht ein über ihn wachender Baumgeist gewesen ist, wird der frommen Christin eine „arme Seele“, die keine Ruhe findet und nun an eine alte Eiche gekettet ist.


Besonders verzwickt ist es mit den Feen. Heute werden sie oft als kleine geflügelte Frauen vorgestellt, die um Waldblumen oder irische Hügel herumfliegen und über magische Kräfte verfügen. Aber sind sie wirklich Naturgeister? Im Mittelalter und der Renaissance tauchten sie vor allem in französischen Gedichten, Geschichten und später auch Theaterstücken als kulturell überformte keltische Sagengestalten auf, die als voll ausgewachsene Männer oder Frauen über große Schönheit und machtvolle Magie verfügten und irgendwie mit der Anderswelt in Verbindung standen. Bekannt sind zum Beispiel die Zauberin Morgan Le Fay aus der Artussage oder auch der Feenkönig Oberon wie er zum Beispiel in Shakespeares „Ein Mittsommernachtstraum“ auftaucht. Um es noch komplizierter zu machen: Das deutsche Wort „Fee“ geht sehr wahrscheinlich auf das lateinische „fata“ (Schicksal), zurück und steht für halb-göttliche Wesen, die mit der Vorsehung in engem Kontakt stehen. Als Mittlerinnen zwischen der sichtbaren und der unsichtbaren Welt gehören sie selbst beiden an und sind oft die Kinder von Menschen und Geistern, also Halbwesen. Im englischsprachigen Raum wird der Begriff „fairy“ recht umfassend gebraucht und kann auch als Oberbegriff für Elfen, Gnome, Goblins und etliche andere magische Wesenheiten benutzt werden. Der Feenkönig Oberon zum Beispiel wird auch häufig als König der Elfen bezeichnet.


 


Warum aber glauben Menschen an solche Wesenheiten? Um sich möglichen Antworten auf diese Frage zu nähern, ist es hilfreich, zunächst einmal zu überlegen, welche Funktionen „Naturgeister“ für Menschen haben können. Laut Wikipedia unterscheidet die Biologin und bayrische Heimatkundlerin Gertrud Scherf drei Funktionen der Naturgeister für den Menschen, nämlich die „Mittlerrolle“, die „soziale Funktion“ und die „psychische Funktion“. Unter der Mittlerrolle versteht Scherf, dass Naturgeister eine Brücke zwischen dem menschlichen Bewusstsein und Naturerscheinungen darstellen. Naturereignisse sind damit nicht zufällig, sondern entspringen einem bewussten Handeln, weil ein Baum von Nymphen oder ein See von Nixen bewohnt wird, die mit ihm aufs Engste verbunden sind. Man könnte auch von Repräsentation sprechen: Die Nymphe repräsentiert das Bewusstsein des Baumes, also das, was ihn uns ähnlicher und begreifbarer macht. Und was ein Bewusstsein hat, das kann auch besänftigt, erzürnt oder ausgetrickst werden. Verhalte ich mich so, wie die Naturgeister es wollen, werde ich vielleicht von Blitz und Unwetter, herabstürzenden Ästen oder Flutwellen verschont.

 

Und damit kommen wir zur „sozialen Funktion“, die Naturgeister für Menschen haben können. Abgesehen davon, dass Gnome, Trolle und Elfen guten Stoff für Geschichten bieten, stehen diese Wesen auch für die Idee, dass die Natur quasi Augen hat, ja auch ein Gewissen und ein Gedächtnis. So kann soziale Kontrolle auch in der Wildnis funktionieren, denn die Naturgeister stellen bestehende menschliche Systeme selten in Frage. Fleiß und Güte werden auch von grundlegenden Naturwesen wie der Mutter Erde, die in Grimms Märchen als Frau Holle auftaucht, belohnt, während Faulheit, Gier und Hartherzigkeit bestraft werden. Auch gibt es Naturgeister, die Kinder erschrecken und damit von gefährlichem Verhalten abhalten sollen. „Renn nicht in den Wald oder geh nicht in den See, denn dort warten die Unholde!“


Die „psychische Funktion“ der Naturgeister sieht Scherf schließlich darin, dass Menschen ihre (sexuellen) Wünsche, Ängste und Hoffnungen in sie hineinlesen können. Vielleicht werden mir die Feen Glück und Reichtum bescheren und die Meerjungfrauen ungeahnte erotische Freuden, während mich die Moorgeister in mein Verderben locken wollen. Und wer einem Riesen und Berggeist wie Rübezahl (tschechisch Krakonoš) begegnet, kann sich auf alles mögliche Gute oder aber auch Schlechte gefasst machen.


Das menschliche Gehirn ist gut darin (um nicht zu sagen: darauf angewiesen) Muster zu erkennen. Was uns fremd ist, versuchen wir, mit dem uns Vertrauten in Verbindung zu bringen. So werden Bäume und Flüsse, ganze Wälder und Gebirge also vermenschlicht. Darin drückt sich auch der Wunsch nach Beziehung aus. Menschen fühlen sich mit ihrer Umgebung verbunden, und um dem starken Ausdruck zu verleihen, erkennen sie ein menschenähnliches Bewusstsein in den Pflanzen und Gewässern, den Hainen und Wäldern um sich herum. Dabei verschwimmt manchmal die Grenze zwischen der Außen- und der eigenen Innenwelt. Die Natur spiegelt nun die Sehnsüchte und Ängste wider, wird Teil eines intensiven Gesprächs, das womöglich ein Selbstgespräch ist. Vielleicht ist da aber auch mehr. Wahrscheinlich nehmen auch Bäume und Blumen und Flüsse und Quellen uns wahr, aber sehr wahrscheinlich ganz anders als wir sie. Personifikationen machen die Natur dem Menschen nicht nur begreifbarer, sie helfen ihm womöglich auch dabei, sich als ein verantwortliches Gegenüber zu begreifen. Ein Baum ist kein Objekt, sondern ein – wenn auch entfernt – menschenähnliches Wesen. Das gleiche gilt für einen Bach oder See. Man darf diese Wesenheiten nicht einfach benutzen. Naturgeister sind so auch Ausdruck menschlichen Verantwortungsbewusstseins und Respekts. Kurz kann man sagen: Menschen glauben (mehr oder minder) an Naturgeister, weil sie Naturphänomene faszinierend finden, weil sie sich von ihnen abhängig, aber auch ihnen gegenüber verantwortlich fühlen, weil sie sich Kommunikation und Verbindung wünschen und weil sie versuchen, sich die schwer begreifbare Außen- und Innenwelt begreifbarer zu machen. Vielleicht glauben Menschen auch an Naturgeister, weil es sie in gewisser Weise gibt. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0