Subtiles Gruseldrama

• USA 1942
• Regie: Jacques Tourneur
• Laufzeit: 73 Minuten
Handlung: Die aus Serbien stammende Modezeichnerin Irena lernt in New York City einen Mann kennen. Noch bevor die beiden heiraten, erzählt Irena ihrem Geliebten eine Legende aus ihrer Heimat. Angeblich haben ihre Vorfahren Hexerei betrieben und haben sich in Raubkatzen verwandelt, wenn starke Gefühle und Leidenschaften von ihnen Besitz ergriffen. Einen aufgeklärten US-Amerikaner schreckt das natürlich nicht.
Besprechung: Dieser Film hat einen festen Platz in der Geschichte des Horrorfilms. Dabei ist er über weite Strecken ein Drama mit
phantastischen Untertönen und enthält nur wenige gruselige Sequenzen. Und die sind dann auch noch zurückhaltend inszeniert, sogar für die Sehgewohnheiten der damaligen Zeit.
Zurückhaltung ist aber gerade die Stärke des Films. Denn was hier mit einer interessanten Story, dem durchdachten Einsatz von Licht und Schatten und einem tollen Sounddesign
angedeutet wird, regt die Phantasie besonders an und unterstützt die Zuschauer*innen dabei, selbst kreativ mitzuwirken.
„Katzenmenschen“ lebt von Gegensätzen: Nicht nur Licht und Schatten sind
so in Szene gesetzt, dass sie von einem essentiellen Konflikt erzählen, auch die Figuren verkörpern zwei Welten, die sich fremd sein müssen. Hier die sanfte, kindliche Irena
(Simone Simon), dort die selbstbewusste, unverblümt sprechende Arbeitskollegin Alice (Jane Randolph). Irena verkörpert das alte Europa, oder dessen US-amerikanische Projektion:
irrational, dunkel, künstlerisch, geheimnisvoll, märchenhaft. Ihr Geliebter Oliver (Kent Smith) steht hingegen wie seine Arbeitskollegin und der Psychiater Dr. Judd für das moderne, aufgeklärte,
rationale und helle New York der damaligen Gegenwart. Hier gibt es keine Probleme, die nicht durch die Vernunft zu bewältigen wären. Ein weiteres Gegensatzpaar des Films, ist der zwischen der
animalischen Triebnatur und eben dieser menschlichen Vernunft, die sich als Königin wähnt.
Eine große Stärke des Films liegt für mich darin, dass er mit Irena sympathisiert, ihr Leiden ernst nimmt und sie nicht verurteilt. Ihr gegenüber wirken die aufgeklärten
US-Bürger zwar tatsächlich vernünftiger und harmloser, aber auch oberflächlicher und – im Falle des Psychiaters – selbstsüchtig und manipulativ. Eine Frage, die der Film zurückhaltend stellt,
könnte lauten: Was muss hinter Gitter gesperrt werden, damit wir so modern und zivilisiert sein oder zumindest wirken können? Oder anders gesagt: Ist es wirklich eine gute Idee
und Ausdruck hoher Zivilisation, Panther in kleine Käfige zu sperren, oder Kätzchen in einem Schuhkarton zu verpacken und zu verschenken? Irena sagt einmal zu ihrem Psychiater: „When you speak of
the soul you mean the mind. And it’s not my mind that is troubled.“ Damit deutet sie an, dass das menschliche Wesen eine Tiefe hat, die der aufgeklärte Geist nicht erfassen kann.
Eine Tiefe, die auch mit dem von der Moderne gering geschätzten tierischen Erbe zu tun hat.
Seinen Ruf als Klassiker des Horrorfilms verdankt der Film meiner Ansicht nach den wenigen, aber großartig inszenierten Gruselmomenten, die zeigen, dass es wenig braucht, um
nachhaltige Effekte des Unheimlichen zu erzielen. Darüber hinaus bietet der Film die erste weibliche Hauptfigur des Horrorkinos, die zentrale Bedrohung und zugleich Opfer der Umstände
ist. Irena Dubrovna ist gerade innerhalb der Figurenkonstellation des Films ein Charakter, der zu Deutungen herausfordert. Dass diese weder beliebig ausfallen noch abschließend zu klären
sind, macht einen bedeutsamen Teil des Reizes aus.
Aufgrund seiner Stärken fallen die Schwächen des Films nicht so ins Gewicht, sollen hier aber trotzdem erwähnt werden. Die Filmmusik
ist konventionell, der Fluss der Geschichte wird manchmal ausgebremst, eine Traumsequenz ist – zumindest heutzutage – unfreiwillig komisch. Auch kann gerade heutigen Zuschauer*innen das
kindliche Gehabe der jungen Irena an den Nerven zerren. Aber das ist Teil der Geschichte.
Trivia: Bei einem kleinen Budget von ungefähr 150.000 Dollar spielte „Katzenmenschen“ (angeblich) vier Millionen Dollar ein und zog die 1944
Fortsetzung „The Curse of the Cat People“ (gedreht von Robert Wise und Gunther von Fritsch) nach sich. Auch gibt es ein Remake aus dem Jahr 1982 mit Natassja Kinski in der
Hauptrolle. Beide Filme sind durchaus anders und auf ihre Weise sehenswert. Das gilt auch für den von Katzenmenschen deutlich inspirierten Film „Night Tide“, einem Mix aus Drama,
Phantastik und Horror aus dem Jahr 1961, in dem eine Frau, die auf einem Jahrmarkt als Meerjungfrau auftritt, glaubt, tatsächlich eine Sirene zu sein.
„Katzenmenschen“ lief so lange in den Kinos, dass einige Filmkritiker*innen ihn zum zweiten Mal sahen und teilweise neue, oft bessere Kritiken darüber schrieben.
Der im Film erwähnte serbische „King John“, der die Mameluken vertrieben haben soll, hat als reales Vorbild König Jovan Nenad (1492 – 1527), dessen Streitkräfte tatsächlich
osmanische Eroberer abwehrten. Ob darunter Mameluken waren, kann ich nicht sagen.
Produzent Val Lewton wollte ursprünglich die (großartige) Gruselgeschichte „Ancient Sorceries“ (deutscher Titel: „Wegen des Schlafes und wegen der Katzen“) von Algernon Blackwood
verfilmen lassen. Da die Story jedoch in einem französischen Dorf im 19. Jahrhundert spielt, hätte das Budget nicht für die Ausstattung gereicht.
„Katzenmenschen“ enthält genau einen jump scare. Entsprechende filmische Schreckmomente nannte man im Anschluss an den Film „Lewton bus“. Wer den Film sieht, versteht, warum.
IMDB: 7.2 von 10
Letterboxd-Rating: 3.7 von 5
Hopsy-Rating: 4 von 5
// HOPSYS GEDANKEN
Irena Dubrovna ist gleich auf mehrere Arten „das Andere“, das in vielen Horrorfilmen eine große Rolle spielt: Sie ist eine osteuropäische Ausländerin in New York. Sie ist eine Frau in einer Welt,
in der der Mann als die Norm gilt, und sie trägt in sich eine unterdrückte Leidenschaft, die über das korrekte Maß hinausgeht. Vielleicht ist auch ihre Sexualität eine
andersartige. Harry M. Benshoff schreibt in seinem empfehlenswerten Buch „Monsters in the Closet: Homosexuality and the Horrorfilm“ auf Seite 88, dass Val Lewton Filme wie
„Katzenmenschen“ eine „wachsende Bewusstheit von Homosexualität, homosexuellen Communities und den Dynamiken der Unterdrückung von Homosexualität“ reflektierten. Und auch, wenn Irena
womöglich nicht unbedingt homosexuell ist: Menschen mit einer entsprechenden Veranlagung konnten und können sich womöglich mit ihrer Einsamkeit, ihrem Außenseitertum, ihrer Mischung aus Stolz und
Unsicherheit gut identifizieren. Schließlich geht die osteuropäische Immigrantin eine heteronormative Ehe ein, ohne sie wirklich zu vollziehen. Sie hat Angst davor, sich in ein Raubtier
zu verwandeln, wenn sie mit ihrem Ehemann intim wird, oder überhaupt starke Emotionen erlebt. Also hält sie sich zurück, kapselt sich sowohl von ihrem Verlangen als auch von ihrem Mann ab und
unterdrückt den vitalsten Teil ihrer Selbst.
Ich finde die Frage interessant, ob Irena damit nicht nur für homosexuelle Frauen dieser Tage eine Identifikationsfigur sein konnte, sondern für Frauen allgemein. War 1942 in den USA
weibliche Lust für die Mehrheit etwas Normales, oder etwas Furchteinflößendes? Mussten sich Frauen sexuell zurückhaltend geben, um nicht als „Schlampen“ oder als die männliche Libido
einschüchternd wahrgenommen zu werden? Wenn es gesellschaftlich normal ist, dass Männer als von Lust getriebene Subjekte und Frauen als deren Objekte imaginiert werden, muss eine Frau, deren
Leidenschaft sie selbst zum Subjekt macht, monströs erscheinen. Einfacher formuliert: Der Mann will und die Frau wird gewollt. Wer daran rüttelt, ruft Ängste hervor, die
womöglich nicht unähnlich sind zu denen, die ein Mensch angesichts eines Raubtiers hat: Plötzlich ist er nicht mehr der potentielle Jäger, sondern die potentielle Beute.
Was dieser Lesart zuwiderläuft, ist die Figur der Alice. Olivers Kollegin ist nämlich selbstbewusst, gibt sich keineswegs kindlich, sondern durchaus scharfzüngig und scheint ihre
(sexuellen) Bedürfnisse nicht zu unterdrücken. Und Oliver fühlt sich schließlich mehr zu ihr hingezogen als zu Irena, die er ziemlich schnell geheiratet hat. Überhaupt ist interessant,
wie schnell Irena den fremden Mann Oliver in ihre Wohnung bittet: nämlich gleich bei der ersten Begegnung. Die Nähe zwischen den beiden entsteht so schnell, dass es auf den ersten Blick
verblüffend erscheint, dass Irena dann nach der Eheschließung klar macht, dass sie keine körperliche Nähe zulassen kann. Eine mögliche Deutung könnte sein, dass Irena in Wirklichkeit
uneingestanden homosexuell ist. Denkbar ist auch, dass sie nicht gelernt hat, weibliche Lust als etwas Positives wahrzunehmen. Eine dritte Möglichkeit ist, dass Irena Opfer sexualisierter
Gewalt ist. Körperliche Intimität erinnert sie an das Raubtier, dessen Opfer sie war, mit dem sie sich aber zugleich identifiziert (Identifikation mit dem Aggressor). Sex muss also etwas
Destruktives in ihr wach rufen. Der Film drängt keine der genannten Deutungen auf. Vielmehr erschafft er mit Irena eine zeitlose Figur behinderter erwachsener Sexualität, die hinter einer
Maske freundlicher Kindlichkeit hofft, nicht ans Tageslicht gezerrt zu werden.
Einmal sagt sie: "Ich mag die Dunkelheit, sie ist freundlich."
Ein Film wie „Katzenmenschen“ und sein großer Erfolg beim US-amerikanischen Publikum sagt etwas Interessantes über die Gesellschaft aus, in der er entsteht und geguckt wird: Was, wenn Frauen ihr
wildes Wesen unterdrücken, um sich nicht (aus Sicht der Männer) in ein ungezähmtes Raubtier zu verwandeln? Und was, wenn die Sexualität vieler Frauen durch Gewalterfahrungen behindert ist?
Offensichtlich ist nicht nur die Unterdrückung queerer Sexualität, sondern auch weiblicher Sexualität ein tiefgreifendes Problem in patriarchalen Gesellschaften. Unterdrückung
hat nicht nur etwas Gewaltvolles, sondern erzeugt auch weitere Gewalt. Gegen andere oder sich selbst. Irena verkörpert beides.
Das Magazin Vulture bietet eine Auflistung mit kurzer Beschreibung von „61 Essential Queer Horrorfilms“, darunter natürlich auch „Cat People“.
Kommentar schreiben