Stylisher Abstieg in die Welt der Models

• USA, Dänemark, Frankreich 2016
• Regie: Nicolas Winding Refn
• Laufzeit: 118 Minuten
Handlung: Die 16jährige Jesse kommt aus irgendeinem Kaff nach Los Angeles, um als Model Karriere zu machen. Was erwartet sie wohl?
Besprechung: Nach „Drive“ und „Only God Forgives“ kam der dänische Regisseur Refn mit dem noch mal stylisheren „The Neon Demon“ um die Ecke und
integrierte dabei erstmals Horrorelemente in seinen poppigen Fiebertraum aus Primärfarben. Dabei gelingen ihm gerade im letzten Drittel einige wirklich starke Bilder, die ich als
bewusst inszenierten Edelkitsch bezeichnen würde. Der coole Synthiescore mit 80es Vibes passt perfekt dazu. Ob einen das nun umhaut oder kalt lässt, ist Geschmackssache, auf
jeden Fall ist die Attitüde des Films irgendwo zwischen Arthouse und Exploitation durchaus eigenständig. Wer sich also für ungewöhnlich lange Kameraeinstellungen ebenso
begeistern kann, wie für rausgewürgte Augäpfel, der sollte „The Neon Demon“ auf jeden Fall eine Chance geben.
Bei seiner Aufführung in Cannes sorgte der Film sowohl für Buhrufe als auch für standing ovations. Ich selbst finde den Film allerdings weder schlecht, noch bin ich
begeistert. Ich erkenne die eigenständige Vision an, aber das Ganze ist nicht für mich gemacht. Die Welt der Supermodels langweilt mich, die Sterilität wirkt auf mich nicht sexy und die Macht-
und Ausbeutungsstrukturen einfach nur abstoßend. Jesse mag ein nettes Mädchen sein, aber was sie unter diesen ganzen kaputten Arschlöchern in L.A. macht, ist mir bis zum Ende so unverständlich
wie irgendwie auch egal. Zwar finde ich Geschichten über junge Menschen, die in der großen weiten Welt ihr Glück versuchen, generell spannend, und auch hier hatte ich anfangs ein Gefühl
von Abenteuer: Wem kann sie trauen, wem nicht? Aber letztlich hatte kein Charakter genug Tiefe, um Jesses Karriereversuch wirklich spannend zu machen. Und vermutlich geht es Refn auch
nicht um Spannung, sondern um eine Meditation über Schönheit. Aber auch die fesselt mich nicht besonders, aus Gründen, die ich unten bei „Hopsys Gedanken“ festhalte.
Ein Horrorfilm ist „The Neon Demon“ eigentlich nur am Rande. Er enthält zwar eine ganze Reihe von unangenehmen Szenen, die aber dürften größtenteils die (womöglich zugespitzte)
Alltagsrealität des Model-Berufs abbilden. Erst zum Ende hin ist der Film mehr Horror als Drama oder Thriller, geht aber auch dann zu sehr eigene Wege, um als typischer Genrebeitrag eingeordnet
zu werden. Das macht ihn keineswegs leichter verdaulich: „The Neon Demon“ ist in meinen Augen vor allem ein unangenehmer Film. Das liegt sicher auch daran, dass für mich der
Glamour und die Verheißungen der Modelwelt kaum ins Gewicht fallen. Der ganze Umgang der Menschen mit sich selbst und anderen aber umso mehr. Ich würde da nach zehn Minuten sagen: Nee, is klar!
Tschüss! Andere mögen das anders sehen und die Geschichte der Jesse als spannende Selbstermächtigung einer noch sehr jungen Frau in einem gefährlichen, aber auch aufregenden
Umfeld betrachten.
Trivia: Ella Fanning war zu Beginn der Dreharbeiten genauso alt wie die von ihr verkörperte Hauptfigur Jesse, nämlich 16 Jahre. Die kleine
Schwester von Dakota Fanning stand allerdings schon als Kind vor der Kamera, zum Beispiel in Serien wie Dr. House oder CSI Miami, oder in Spielfilmen wie „Der seltsame Fall des Benjamin
Button“.
Abbey Lee, die in dem Film die Sarah spielt, ist eine australische Schauspielerin und obendrein Model (und Musikerin). Sie fungierte im Zuge der Dreharbeiten als
Beraterin in Bezug auf die Welt der Fashion-Models.
Refn ist nach eigener Aussage weitgehend farbenblind und kann nur Kontraste und Primärfarben gut erkennen. Die Arbeit von Kamerafrau Natascha Braier fand er super. Sie hingegen
erklärte ihm nach dem Lesen des Drehbuchs, was alles für sie nicht funktionierte. Refn antwortete darauf: „Oh, du hast das Fake-Skript gelesen.“ Tatsächlich änderte Refn die ursprüngliche
Geschichte noch deutlich ab.
Der Leichenbestatter im Film wurde von einem echten Leichenbestatter gespielt.
Keanu Reeves hat hier eine Nebenrolle als fieser Motelbetreiber.
IMDB: 6.1 von 10
Letterboxd-Rating: 3.2 von 5
Hopsy-Rating: 3 von 5
// HOPSYS GEDANKEN
Der Film ist Refns Frau Liv gewidmet. In einem Interview meinte der Regisseur, dass ihn die Schönheit seiner Frau zu dem Film inspiriert habe. Er selbst sei weder schön, noch anziehend. Seine Frau aber sei beides, und er frage sich, wie das wohl sei, einfach schön zu sein. In einem anderen Interview erklärte Refn, dass man „The Neon Demon“ wohl eindeutig ansehe, dass er von Schönheit regelrecht berauscht sei, auch von der Macht der Schönheit, dass er aber auch gleichzeitig entsetzt darüber sei. Und das sei eben eine gute Basis für einen Horrorfilm.
Auch mich kann Schönheit berauschen und entsetzen, aber mit einer Prämisse des Films kann ich nicht mitgehen, obwohl sie in unserer Gesellschaft weit verbreitet ist: Daß ein Mensch
konstant schön ist und ein anderer nicht. Diese Sichtweise ist mir zu statisch. Natürlich gibt es Menschen, deren Erscheinungsbild den gängigen Schönheitsvorstellungen mehr entspricht
als bei anderen. Und natürlich gibt es körperliche Eigenschaften, die wir vermutlich sowohl aus evolutionsbiologischen als auch aus kulturellen Gründen als generell attraktiv wahrnehmen, wie zum
Beispiel ein reines Hautbild oder volle, glänzende Haare. Aber wie man schon im Film „The Neon Demon“ sehen kann, wirkt ein und derselbe Mensch oft sehr verschieden. Jesse hat –
zumindest in meinen Augen – anfangs die Anmutung eines Backfischs vom Land, der unsicher vor sich hinnuschelt und etwas neben sich zu stehen scheint. Zwischendurch taut sie zu einer
lebenslustigen jungen Frau auf, dann wieder präsentiert sie sich als stark geschminkter Vamp, dem Größenwahn nicht fremd ist. Schönheit ist nicht nur eine Konstante, vielmehr ist sie
etwas, das immer wieder entsteht und vergeht oder zumindest stärker und schwächer wird, sie ist etwas Lebendiges und damit abhängig von Lichtverhältnissen und der Stimmung, vom Begehren
des Betrachters, aber auch von der Entscheidung eines Menschen, ob er oder sie schön sein will, denn „schön sein“ ist auch eine Haltung, die Models trainieren. Menschen können einem schöne Augen
machen, bis sie einem ihre hässliche Seite zeigen, und auch diese Sprachbilder sind viel gröber als die Realität einer feinen Wahrnehmung. Schönheit ist in meinen Augen sowohl ein körperlicher
Zustand als auch ein optisches Phänomen als auch eine Frage der Haltung einer Person als auch eine Frage der Haltung der betrachtenden Person. All das sind lebendige und deshalb
Wandlungen unterworfene Prozesse.
Models verkörpern, nicht nur in diesem Film, die Idee einer sich nicht verändernden ewigen Schönheit. Deswegen werden sie meist auch erstaunlich unlebendig und steril in Szene
gesetzt. Ja, im Film geht es so weit, dass Jesse am Anfang als blutüberströmte Leiche posiert, und später eine Person leidenschaftlichen Sex mit einem toten Körper hat. Fotos und
Filme wollen etwas festhalten, was sich tatsächlich schnell verflüchtigt und in einen anderen Zustand übergeht. Sie können daher die Illusion konstanter Schönheit nähren. Aber natürlich
hat auch diese in der Modelwelt (zumindest im Film) ein Verfallsdatum. „Wenn du 21 bist, übersehen sie dich“, sagt ein Modell. Und ihr Maskenbilder sagt: „Eher schon mit 20.“ Jesse ist 16 und
Jungfrau. Sie kommt als Unschuld vom Lande in den Sündenpfuhl L.A. und bietet den Menschen genau das, was sie brauchen: Jugend zum Aussaugen. Die Tragik an dem Konzept dürfte so
manchem Pädophilen oder Hebephilen bekannt sein: Die kindliche oder jugendliche Unschuld, die er begehrt, wird genau in dem Moment, wo das sexuelle Begehren Erfüllung finden würde, beschädigt
oder vielleicht auch ganz vernichtet. So wird derjenige, der die unschuldige Jugend begehrt, dazu verdammt, das zu zerstören, was er angeblich liebt. Genau das lässt sich auch
über die Model-Industrie sagen, wenn sie sogenannte unverbrauchte Gesichter in verbrauchte verwandelt und Freude am eigenen Körper in dessen Manipulation und Zurichtung.
Ein Interview zum Thema „Schönheit“ mit dem Psychologen Lars Penke findet sich hier.
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