(7. bis 11. Februar City Kino Berlin-Wedding)
Die Müllerstraße im Wedding ist eine dieser typischen Berliner Breitstraßen, die gerade zu ins Nichts verlaufen und von einem Abschnitt voller Döner-, Handy- und Frisörläden in einen Abschnitt grauer Betonklötze übergehen. Zwischen den beiden Abschnitten liegt das City Kino Wedding. Hier gab es in den letzten Tagen jede Menge Horrorfilme von Frauen und nicht-binären Menschen auf die Augen. Der Kinosaal hat gut 200 nicht all zu bequeme rote Plätze und eine schöne, dichte Clubatmosphäre. Im Tresenbereich vor dem Kinosaal konnte man gut abhängen, Bayreuther Hell und Fritz-Limo auf Sesseln trinken und mit Horrornerds, Feministinnen und Filmschaffenden aus der ganzen Welt quatschen.
Neben Lang- und Kurzfilmen gab es auch Workshops und Gesprächsrunden. Heute möchte ich drei besonders interessante Filme vorstellen und das Thema einer Gesprächsrunde.
Where the Devil Roams
• USA 2023
• Regie: Zelda Adams, John Adams und Toby Poser
• Laufzeit: 93 Minuten
Die Catskill Mountains im Bundesstaat Ney York irgendwann während der großen Depression zwischen Weltkrieg I und II: Eine kleine Familie von Artisten reist durch die winterliche Landschaft, um sich mehr schlecht als recht mit seinen Performances auf „Carnivals“ (eine Mischung aus Kirmes und Zirkus) zu verdingen. John kann kein Blut sehen und ist eine Leseratte, seine Frau Maggie hingegen liebt es, Menschen umzubringen. Die gemeinsame Tochter Eve wiederum ist stumm, kann aber wunderschön singen. Wir begleiten diese traumatisierten Menschen, die beiläufig Blutbäder anrichten, durch ein verwunschenes Amerika und erleben, wie sie ein magisches Artefakt benutzen, um ihre Show aufzupeppen. Aber natürlich hat die Magie ihren Preis.
Wie im Film sind die drei Darsteller*innen auch im Leben abseits der Leinwand eine Familie und „Where the Devils Roams“ ist bereits ihr achter Independent-Film, zu dem sie als Metal-Band „Hellbender“ auch die Musik beigesteuert haben. Entsprechend ist die Chemie der Figuren absolut glaubwürdig und intensiv. Vor allem Toby Poser als Matriarchin und Serienkillerin überzeugt und könnte von ihrem Talent her sicher auch in Hollywood Karriere machen. Das ist allerdings gar nicht der Plan der beeindruckenden Frau, die nach dem Film auf der Bühne Rede und Antwort stand. Auf die Frage, ob sie an Magie glaube, sagte sie mit glühenden Augen „Oh, yes my dear“ – für mich der unheimlichste Moment des Fetsivals.
Es ist bewundernswert wie gut der Film sein geringes Budget nutzt und originelle Bilder und Stimmungen abseits der üblichen Horror-Tropes erschafft. Die Stromgitarrenmusik passt erstaunlich gut zu dem historischen Ambiente, die blutigen Effekte sind nicht ohne und in der Regel auch stark gemacht. Wenn man dem Film etwas vorwerfen will, dann, dass er keinen zwingenden Plot hat. Es fehlt ein echter, zentraler Konflikt, entsprechend bewegt man sich eher durch einen eigentümlichen Traum, als in den Sog einer fesselnden Story zu geraten. Dennoch ist das ein sehenswerter und eigenständiger Film, der ein bisschen so wirkt, als hätte Rob Zombie die expressionistischen Horrorfilme aus Deutschland studiert und einen historisierenden Arthouse-Film gedreht. Kam gut an!
Somewhere Quiet
• USA 2023
• Regie: Olivia West Lloyd
• Laufzeit: 98 Minuten
Die koreanisch-stämmige Meg hat eine grauenhafte Entführung hinter sich. Zwar konnte sie ihren Peinigern entkommen, aber ihr Vertrauen in die Welt ist ebenso erschüttert, wie das in ihre eigene Wahrnehmung. Um zur Ruhe zu kommen fährt sie mit ihrem Mann Scott zu dessen Familiensitz am Cape Cod, einer Halbinsel im Südosten von Massachusetts. Dort ist es schön und ruhig, zumindest bis Scott Cousine Madelin auftaucht und mit ihrer aufdringlichen Art der verunsicherten Meg zusetzt. Schnell scheint die Traumatisierte für ihren Mann eher nebensächlich, oder nimmt sie in ihrer Überempfindlichkeit die Dinge um sich herum verzerrt wahr?
Dieser erste Langfilm von Olivia West Lloyd hat es in sich: Zwar ist ein Psychothriller über Traumafolgen thematisch nicht gerade originell, aber hier wird die klassische Geschichte um koloniale und ethnische Themen ergänzt und besticht mit intensiven, clever konstruierten Szenen, starken Darsteller*innen (vor allem die facettenreiche Performance von Jennifer Kim) und einem stimmungsvollen Setting. Die Musik mochte ich nicht so und das Pacing des Films ist weit entfernt davon zwingend zu sein, aber auch wenn man den Welpenschutz für ein Debüt außer Acht lässt: Das ist ein starker, ungemütlicher Nervenkitzler, der auf mehreren Ebenen angreift.
T Blockers
• Australien 2023
• Regie: Alice Maio Mackay
• Laufzeit: 75 Minuten
Diese SF-Horrorkomödie ist nach „So Vam“ (2021) und „Bad Girl Boogey“ (2022) bereits der dritte Langfilm der australischen Drehbuchautorin, Produzentin und Regisseurin Alice Maio Mackay, einer gerade einmal 18-Jahre alten trans-Frau. In T Blockers befallen uralte Parasiten die Bewohner*innen einer Kleinstadt und nur eine junge trans-Filmemacherin auf dem Weg der Transition kann erkennen, dass sich die wurmartigen Biester von Hass ernähren und dafür anfällige Menschen mit viel Angst und wenig Reflexion bevorzugen.
Ich konnte den Film leider nicht sehen, aber den Reaktionen des Publikums und den Ausführungen einer Freundin entnehmen, dass es sich um einen super-unterhaltsamen Partyfilm handelt, der deftigen Horror mit Humor und warmherziger Coming-of-Age-Freundschaftsgeschichte kombiniert, um den Heuchlern der Welt einen dicken Mittelfinger zu präsentieren.
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Unter den Talks möchte ich die Veranstaltung „Horror Film as Feminist Archive“ erwähnen. Genaugenommen handelte es sich dabei um die Präsentation eines Projekts, das Alison Peirse, Professorin für Filmstudien der Universität Leeds, ins Leben gerufen hat. Die Engländerin ist für Horrorfilmforschende keine Unbekannte, zumal sie unter anderem das Buch „Woman Make Horror: Filmmaking, Feminism, Genre“ herausgegeben und einige Horror-Kurzfilme gedreht hat. Bei dem von ihr ins Leben gerufenen „Archiv“ geht es aber darum, weltweit Stimmen von Frauen zu Horrorfilmen zu sammeln und diese Stimmen in mittlerweile 30 Videoessays online zur Verfügung zu stellen. Unter dem Begriff „Doing Women’s Global Horror Film History“ sollen üblicherweise kurz kommende Perspektiven zeigen, was Frauen international zum Horror-Genre beigetragen haben, wo Lücken sind und welche Strukturen aufgebrochen werden könnten. Peirse zeigte und kommentierte ein paar der Videoessays und sprach dabei auf der Bühne mit May Santiago, die sich als Doktorandin der Kulturwissenschaften auf das Kino Puerto Ricos und die Querverbindungen von Horrorfilmen, Feminismus und Queerness fokussiert. Außerdem kam Zainab Marvi auf die Bühne, eine in Leipzig lebende Designerin, deren Video-Essay „The Teetering Act“ sich mit dem inneren und äußeren Konflikt der weiblichen Figur im Film „Debi“ (Bangladesh 2018) befasst.
Die Video-Essays lassen sich kostenlos hier abrufen: https://maifeminism.com/issues/focus-issue-thirteen-doing-womens-global-horror-film-history/
Am Donnerstag gibt es mehr über das Filmfestival zu lesen.
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